Unser Redebeitrag zur Solikundgebung des Angeklagten von 1000 Kreuze 2021 08.09.22

CN: Gewalt, Mord, Todesstrafe, Abtreibungen, queer- und trans*feindlichkeit

Vorwort:
Bisher haben wir uns noch nicht zu der massiven queer- und trans*feindlichen Gewalt der letzten zwei Wochen geäußert. Unsere Kapazitäten haben es nicht hergegeben, dass wir zu der Kundgebung vergangenen Freitag einen Redebeitrag schreiben konnten. Wir stecken und stecken – wie viele von euch – in individuellen und kollektiven Trauer- Wut -Verarbeitungsprozessen.
Vor drei Tagen saß ich in einer Support-Runde in Münster und wir fanden kaum Worte für das was aktuell bei uns persönlich, bei uns gemeinschaftlich los ist. Was wir mit unserer Trauer, unserem Schmerz, unserer Angst, unserer Wut anstellen können.
Gestern konnte ich es nicht fassen, mit wie viel Scheiße meine friends und ich mich befassen müssen, während für andere das Leben einfach weiterzugehen scheint.

Ich möchte heute versuchen diese Emotionen zu queer- und trans*feindlichkeit, zu
Repressionen gegen linken Protest, zu Fundamentalist*innen und deren ideologischer
Kackscheiße anzusprechen und in Worte zu fassen.

 

Vor knapp zwei Wochen wurden Menschen in Münster homo- und lesbenfeindlich beleidigt. Der trans Mann Malte hat sich dagegengestellt, wurde in der Folge angegriffen und ermordet.
1 Tag später wurden Menschen in Dortmund queer- und trans*feindlich bedroht,
angegriffen und verletzt.
Letzten Samstag wurde erneut eine trans* Frau in Bremen brutal angegriffen und musste medizinisch versorgt werden. Die Tat wurde angefeuert. Weitere Menschen haben zugeschaut.
Vor vier Tagen wurde in einem Schulbezirk in Missouri in den USA die Prügelstrafe wieder eingeführt.
Vor drei Tagen wurden zwei Lesbische Aktivistinnen im Iran aufgrund ihrer sexuellen
Orientierung zum Tode verurteilt.
Heute ist eine Person für wichtigen und notwendigen feministischen Protest in Münster
angeklagt.
In 1 Monat findet erneut der fundamentalistische 1000 Kreuze Marsch von radikalen
Abtreibungsgegner*innen in Münster statt.

Antifeminismus findet verschiedenste Ausdrucksformen. Antifeminismus befördert Gewalt. Antifeminismus tötet.

In den USA gibt es ein massives Rollback was Abtreibungsrechte betrifft.
In Europäischen Ländern sehen wir seit Jahren fatale Einschränkungen und Verbote von Abtreibungen.
Unter Anderem in Polen, Ungarn, Malta, Nordirland, Andorra, San Marino, Monaco.
Es sind schon fast daily news, dass Abtreibungsrechte stark beschränkt oder abgeschafft werden.
Regelmäßig hören wir davon, dass Menschen, die schwanger sind, in Lebensgefahr sind und dringendst auf eine Abtreibung angewiesen sind, abgewiesen werden… Entweder weil Ärzt*innen selber rechte, fundamentalistische Positionen vertreten oder Angst vor staatlicher Verfolgung und Repression haben.
Es ist unfassbar, dass darum gekämpft werden muss, dass Abtreibungen als Lebensrettende Maßnahme durchgeführt werden. Wenn doch eigentlich total klar ist, dass Abtreibungen allen Menschen als Grundrecht zustehen müssten – unabhängig, ob es um Überleben geht oder nicht. Ich fasse es nicht, dass es darüber immer noch Diskussionen und scheinbar verschiedene gesellschaftlich akzeptierte „Meinungen“ gibt.
Der Kampf um sicheren Zugang zu Abtreibungen für alle verschärft sich immer weiter.
Es ist auch in Deutschland Alltag, dass Schwangere Menschen keinen oder stark erschwerten Zugang zu Abtreibungen haben und in eine prekäre Lage gezwungen werden durch zu wenig Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen und stundenlangen Anreisen, widerwärtige „Mahnwachen“ vor Beratungsstellen, oder eben auch der Zwang zu Beratungen und gesetzlich vorgegebenen „Bedenkzeiten“ selber.
Der einzige Arzt, der im Münsterland und Umgebung Abtreibungen durchführt, wurde
letztes Jahr in Coesfeld von der Staatsanwaltschaft durch eine Initiative von
Fundamentalist*innen angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Von massiv erschwertem Zugang zu sicheren Abtreibungen sind vor Allem
mehrfachmarginalisierte Menschen betroffen. Menschen, die ökonomisch ausgebeutet
werden, Menschen mit Behinderung, Menschen, die genderqueer sind, rassifizierte
Personen, Menschen ohne staatliche anerkannte Aufenthaltsgenehmigung.
Und was ist mit den Fällen, die es nicht über die Medien zu uns schaffen?! Die nicht in
irgendwelchen Statistiken Ausdruck finden?! Unvorstellbar, wie viele Menschen unter dieser Scheiße leiden müssen. Kein Zugang zu Abtreibungen hat noch nie Leben geschützt, es hat schon immer getötet.

Und dann gehen in Deutschland Konservative, Fundamentalist*innen, Rechte auf die Straße, um in Berlin am 17.09. in einem sogenannten „Marsch für das Leben“, um in Münster Anfang Oktober im sogenannten „1000 Kreuze Marsch“ Schwangeren Personen das Recht auf sichere Abtreibungen abzusprechen. What the fuck?!

Gleichzeitig ist klar, wer in Berlin beim Marsch für das Leben, wer in Münster beim 1000
Kreuze Marsch unterwegs ist.
Es hört mit deren rückschrittlichen Vorstellungen zu Abtreibungen nicht auf.
Das alles steht auch in einer Kontinuität zu unter Anderem queer- und trans*feindlicher
Gewalt.
Rechtes, fundamentalistisches Gedankengut und die Strukturen dahinter gehen viel weiter als radikale Verbote von Abtreibungen zu fordern.

In 2021 ist queer- und trans*feindliche Gewalt in Deutschland massiv angestiegen. Im
Durchschnitt wurden jeden Tag 2 1/2 queerfeindliche Übergriffe registriert. Das sind 50% mehr als 2020.
Und wieder die Frage: was ist mit der Gewalt, von der wir nicht hören?! Die nicht registriert wird?! In Deutschland wird bei trans*- und queerfeindlicher Gewalt von einer Dunkelziffer von 80 – 90% ausgegangen.
Den sog. „Marsch für das Leben“ oder den sog- „1000 Kreuze Marsch“ losgelöst von der Gewalt gegen queere Menschen zu betrachten wäre fatal.
Denn: Antifeminismus hat System!

Und wir alle stehen heute hier weil der Staat Rechte, Fundamentalist*innen und dadurch auch die Gewalt, die von ihnen ausgeht, unterstützt und schützt. Nicht nur das… der Staat macht aktiv mit. Indem feministischer, notwendiger Protest von massiven Repressionen betroffen ist. Es ist eine Person angeklagt, die gegen antifeministische Kackscheiße auf die Straße gegangen ist – während Rechte und Fundamentalist*innen immer noch frei Frauen, queer- und trans*feindlichkeit – durchzogen von Faschismus, Rassismus, Ableismus, Klassismus, etc – auf die Straßen tragen dürfen.
Es zeigt sich mal wieder: Der deutsche Staat mit all seinen Akteur*innen hat FLINTA*
Personen noch nie geschützt, der Staat hat Allies noch nie geschützt – ganz im Gegenteil. Der deutsche Staat ist Teil der Kontinuität an Gewalt, die Menschen, die schwanger werden können, die FLINTA*- Personen, die trans* Personen widerfährt.

So wie Antifeminismus viele Ausdrucksformen findet, muss Feminismus immer für queere Menschen, für Lesben, inter, nicht-binäre, trans*- agender Personen, für Frauen, für allies einstehen.
Wir werden uns weiterhin gegen jeden Antifeminismus, gegen jede Gewalt an FLINTA* und allies stellen. Auch dieses Jahr werden wir trotz Allem – oder gerade deswegen – gegen 1000 Kreuze in Münster auf die Straße gehen – Bis Repressionen, bis Abtreibungsverbote, bis Feminizide, bis trans*- und queerfeindliche Gewalt und Mord Geschichte sind – bis alle frei, selbstbestimmt und ohne Angst leben und überleben können.