Redebeitrag Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster TDoV 2022

Weil es von mehreren Seiten die Nachfrage gab, ob die Beiträge zum TDoV (Trans Day of Visibility) veröffentlicht werden könnten, haben wir entscheiden, unseren Blog dafür zu nutzen.

In der nächsten Zeit folgen alle Beiträge der Autor*innen, die Lust hatten sie schriftlich zu veröffentlichen.

In diesem Post ist es der vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster:

Schon seit 151 Jahren, setzen sich Menschen im Widerstand gegen solche rückständigen Gesetze wie den Strafgesetzbuch Paragraf 218 ein. Wir sind das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. Ein Bündnis aus Einzelpersonen, Initiativen, Vereinen und Parteien. Wir setzen uns für reproduktive Gerechtigkeit, sexuelle und körperliche Selbstbestimmung sowie Zugang zu Sexualaufklärung ein. Unsere Arbeit geht vor allem um das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibungen. Es ist uns wichtig, dass wir inter*, trans*, nichtbinäre und agender Menschen – kurz INTA* Menschen – immer mit einbeziehen.

Aber auch in der eher fortschrittlichen Pro-Choice-Bewegung, werden nicht alle Menschen beim Recht auf Selbstbestimmung mitgedacht. Entweder beziehen sich Verbündete – häufig unabsichtlich – nur auf cis Frauen … oder INTA* Menschen werden ausdrücklich ausgeschlossen.

Der Ausschluss geht so weit, dass trans-feindliche Kräfte im Feminismus eine Spaltung in die Bewegung für sexuelle Selbstbestimmung tragen. Dabei sind sogenannte „TERFs“, das steht für trans exclusionary radical feminists, also trans ausschließende radikale Feminist*innen – transphobe Aktivist*innen, die sich selbst dem Feminismus zuordnen.

Einige dieser „TERFs“ haben sich sogar so weit radikalisiert, dass sie selber gegen Pro Choice Veranstaltungen oder ganze Organisationen vorgehen. Sie stellen ihre trans Feindlichkeit über ihre vorgeblich feministischen Ansprüche.

Uns ist das Gegenteil klar: der Kampf für sexuelle Selbstbestimmung betrifft immer trans* Menschen. Reproduktive Gerechtigkeit heißt: Gerechtigkeit für alle!

Bei reproduktiver Gerechtigkeit geht es darum, dass alle Menschen Zugang zu Sexualaufklärung, STI-Prävention, Verhütungsmitteln, Menstruationsprodukten und Schwangerschaftsabbrüchen haben.

In Deutschland stehen Abtreibungen seit dem Kaiserreich im Strafgesetzbuch unter den Paragrafen 218 und 219 unter Strafe. Das rückständige Gesetz verbietet Menschen pauschal ihre Schwangerschaft zu Beenden – mit Ausnahmen. Wenn Ärzt*innen Gesundheitsgefahr feststellen oder die Schwangerschaft auf ein Sexualdelikt zurückführen oder… wenn sich Betroffene einer Zwangsberatung und drei Tagen Wartepflicht unterzogen haben. Aber dann ist es nur straffrei und die Kosten werden nur in Ausnahmen übernommen. Auch wegen dieser Rechtsunsicherheit gibt es immer weniger Ärzt*innen, die diese Versorgung anbieten. 

Ungewollt schwanger zu sein und dem diskriminierenden Paragrafen 218 ausgesetzt zu sein, ist schon schlimm genug. Wer als trans* Person ungewollt schwanger ist sieht sich oft auch noch anderen Diskriminierungsformen ausgesetzt.

Ungewollt schwangere so wie trans* Menschen werden exotisiert, stigmatisiert oder ihre Existenz wird ignoriert.

Es gehört nicht nur zur Normalität, dass Menschen ungewollt schwanger sind, sondern auch, dass sowohl Männer als auch nichtbinäre Personen schwanger werden. Eine nichtbinäre Person aus meinem Umfeld ist momentan im Schwangerschaftsurlaub – Entschuldigung, ich würde mich sehr über eure Vorschläge für einen Begriff freuen, der nicht nach Pauschalreise klingt, sondern die Sorgearbeit anerkennt.

In unseren Gesetzen fehlt diese Normalität allerdings. Das “TSG”, kurz für “Transsexuellengesetz”, von vor 41 Jahren heißt auch so rückständig wie sein Inhalt. Immer wieder entschied das Bundesverfassungsgericht, dass verpflichtende Sterilisierung, Operationen und Hormontherapien oder sogar Scheidungen … gegen das Grundgesetz verstoßen. Das Gesetz verlangt von Menschen ihr Geschlecht erst einmal zu Beweisen – und zwar als psychologische Diagnose und vor Gericht – du zahlst natürlich selbst.
Wenn trans* Menschen schwanger sind oder leibliche Kinder anerkannt bekommen, wird ihnen noch immer ihr Geschlecht aberkannt. Wenn es um Elternschaft geht, sind alle Gebärenden Mütter. Wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht, sind alle Betroffenen Frauen.

Menschen aller Geschlechtsidentitäten müssen als Eltern anerkannt werden!

Wir warten nicht mehr. Weg mit dem TSG, weg mit Paragraf 218. Und… Her mit der Selbstbestimmung!!!

Aber bislang leben wir noch in Grauzonen:

Was dürfen wir sagen um einen medizinischen Eingriff von der Kasse bezahlt zu bekommen? Lügen wir, wenn wir vor der Änderung unserer Geburtsurkunde unser richtiges Geschlecht nennen? oder verbaut uns sogar eine rechtliche Anerkennung über Personenstandsgesetz 45b den Zugang zu manchen medizinischen Leistungen? Muss ich mein*er Ärzt*in gleich wieder erklären, was trans bedeutet und dass es nicht „im falschen Körper geboren“ heißt? Nehmen mich meine Ärzt*innen ernst, wenn ich mich bei ihnen oute und unterstützen sie meine Transitionswünsche?

Wenn wir von Transition sprechen, meinen wir einen Prozess. Der Prozess beinhaltet alles, was dazu beiträgt im eigenen Geschlecht zu leben. Es kann rechtliche, soziale und medizinische Transitionen geben.

Medizinischen Transition kann Hormonersatztherapie, operative Eingriffe und weitere Behandlungen beinhalten, wie z. B. Haarentfernung.

Einerseits musste ich mich dem Prozess aussetzen, mir „Transsexualität“ diagnostizieren zu lassen, als wäre meine Geschlechtsidentität eine Krankheit. Andererseits führt die Diagnose trotzdem nicht dazu, dass ich dann auch automatisch den Anspruch auf die Übernahme aller medizinischen Eingriffe, die ich durchführen lassen möchte, habe.

So schön ich den Satz „be gay, do crime“ auch finde, dieser Zustand muss endlich aufhören. Ich habe keinen Bock mehr, mich ständig auf einer Gratwanderung zwischen Pathologisierung und Kriminalisierung zu befinden!

Also nicht nur im Bereich der reproduktiven Gerechtigkeit lässt die medizinische Versorgung von trans* Menschen zu wünschen übrig, sondern auch im Allgemeinen. Gerade eben auch was medizinische Transitionswünsche angeht.

Immer wieder muss um die Kostenübernahme durch die Krankenkassen gekämpft werden. Eingriffe werden unnötig nach hinten verschoben oder sogar gänzlich abgelehnt. Außerdem gibt es nur wenige Ärzt*innen, die die entsprechende Fachkenntnis haben, so dass es ohnehin zu langen Wartezeiten kommt.

Wir fordern, dass Krankenkassen verpflichtet sind medizinische Eingriffe zu übernehmen und dass die medizinische Versorgung von trans* Menschen in der Ausbildung von medizinischem Personal behandelt wird. Wir sind es leid, dass unsere Körper wie medizinische Experimente behandelt werden!

Kurzum wir müssen in allen medizinischen Bereichen sichtbar sein!

In diesem Sinne: Happy trans day of visibility!